BEHRENDT/BILGER/PER JONAS - Unge Kunstneres Samfund, Oslo | 1991

kinetisch-akustische Installation

"Der olympische Gedanke" - eine Installation von Christian Bilger
Installationen sind raumgreifende, plastische Ensembles, die in ihrer Konstruktion und Bedeutung konkrete Bedingungen schaffen und so auf Erkenntnisse verweisen, die außerhalb von ihnen nur diffus, allgemein, in Details oder symbolisch verfügbar sind. Christian Bilgers Werk "Der olympische Gedanke" ist eine Installation, die sich unter vornestehenden Prämissen erfahren lässt. Sie besteht aus fünf gleichartigen Stellagen, die kreisförmig um einen Zentralpunkt angeordnet sind. Jede der 2,40 m hohen Gestelle besteht aus einem schwarzen, bleiummantelten Gehäuse, das auf vier dünnen, hohen Edelstahlstützen steht. Aus jedem Gehäuse ragt nach einer Seite eine kurze, rosafarbene Spule, die von einem Elektromotor in Drehung versetzt wird. An diese bewegbaren Spulen hat Christian Bilger aufgepumpte Kinderfahrradschläuche gehängt, die durch die kreisende Bewegung rotieren. Exzentrische Auswölbungen am Laufwerk jeder Spule verhindern, dass die Bewegung der schwarzen Gummischläuche rund und gleichmäßig verläuft, dann spätestens, wenn das Schlauchventil an die Auswölbung stößt, gerät der Reifen in eine eiernde Bewegung und droht von der Spule zu fallen. Auf den ersten Blick, so scheint es, ist Chnstian Bilgers Installation eine sachliche und technisch kühle Angelegenheit. Doch birgt die Übung für die kreisenden "Akteure"- eben die Schläuche - einen dramatischen Gefahrenpunkt, ein schicksalhaftes Moment, das über den Verbleib im Wettbewerb entscheidet. In der Mitte, zwischen den kinetischen Skulpturen, steht als "Gehirn" der Installation ein glatter, rechteckiger Kubus aus Edelstahl, in dem sich die elektrische Schaltung befindet. Da der Kubus oben geöffnet ist, kann der Betrachter auf die Schaltelemente der Installation blicken, die unter einer Milchglasscheibe sichtbar sind. Doch werden nicht alle Spulen und damit auch nicht alle Schläuche gleichzeitig bewegt, denn die Schaltung ist so ausgelegt, daß der Stromkreis der fünf Stellagen manchmal geschlossen ist, manchmal unterbrochen wird und somit keine Rotation stattfindet. In den technischen Vorgang ist dadurch ein Stück selektiven Zufalls integriert, der den reibungslosen Verlauf stört und eine Grundlage für die Ästhetik des kinetischen Kunstwerks bildet. Das Gebiet der Installation wird von schwarzen Elektrokabeln durchzogen, die von den Gestellen über den Boden und zum Edelstahlkubus und dem Netzstecker an der Wand verlaufen. Diese Kabel sind kein akzeptiertes Zubehör, sondern gehören zum Inventar des ,,Olympischen Gedanken", wirken hier wie kommunizierende Verbindungen zwischen den fünf ,,Akteuren" und besitzen im Kontext der Arbeit funktionale, aber auch ästhetische Qualität.
Man bemerkt es rasch - Christian Bilgers schnurrende Elektromaschinchen geben mit ihrem unsinnig pneumechanischen Betrieb einen ironischen Kommentar zur idealsportlichen Idee, die vom gemeinsamen Gegeneinander, von der Konkurrenz mit friedlichen Absichten geprägt war.
Bilgers kinetische Installationensemble, die auf einer elektromechanischen Imitation idealistischen Gedankenguts basiert, befindet sich in guter Gesellschaft, denn die Idee, anthropologische und emotionale Begriffe und Bedeutungen durch technische Abläufe und Wiederholungen zu charakterisieren und zu persiflieren, geht zurück auf Duchamps und Picabias dadaistische Anti-Kunstwerke, die zu Beginn der zwanziger Jahre die Ironisierung gefühlsmäßiger und institutioneller Beziehungen vermittels mechanischer Bildkonstruktionen vornahmen. Auf Duchamp geht ebenfalls die erste kinetische Skulptur zurück - das gläserne Rotorelief, das er 1920 erfand und auf einer Erfindermesse ausstellte. Einen weiteren Prototyp der Kinetik erschuf Man Ray 1923 mit dem "Object of Destruction", für das er ein Metronom mit der Fotografie eines Auges versah. Andere Pioniere der Kinetik, wie Lazlo Moholy-Nagy, der zwischen 1922 und 1930 den "Licht-Raum-Modulatur" konstruierte, Alexander Calder, der 1934 den elektrischen "Pontograph" baute und Max Bill, der sich seit 1935 mit den "15 Variations" befasste, schufen weitere Grundlagen für die Bewegungsskulptur. Eine große Popularität erlangte die kinetische Plastik in der Mitte der 50er Jahre, auch durch die Ausstellung "Le Mouvement" in der Pariser Galerie Denise Renö.
Seit Beginn der 60er Jahre beschäftigten sich neben vielen anderen, vor allem die Künstler der Gruppe "zero" - Piene, Uecker, Mack - auf formal strukturale Weise mit physikalischen Prozessen, Bewegungsabläufen und optischen Effekten in der Skulptur. Meta-ironische, elektro-mechanische Apparaturen und Environments schufen im gleichen Zeitraum Jean Tinguely und etwas später Heinrich Brummack. Ein spezielles Feld der Kinetik erschloß George Rickey, der seit den frühen 50er Jahren ausponderierte, mechanpneumatische Plastiken herstellt. Im Grenzbereich zwischen kinetischen und akustischen Objekten gibt es zahlreiche künstlerische Entwürfe - wie zum Beispiel von Stefan von Huene. Christian Bilger steht mit seinen kinetischen Installationen in der Tradition des Duchamp'schen und Man Ray'schen Gedankens, also der Idee einer Bildfindung, in der das Material - wenn auch mit sehr ernsthaften Absichten - spielerisch ironisierend eingesetzt wird. So sagt er dann auch: "Die Technik ist für mich eine Bereicherung der Material-Möglichkeiten. Sie dient als Transportmittel meiner künstlerischen Inhalte - nämlich das Sichtbarmachen menschlicher Zustände und Situationen".
Christian Bilgers Stellagen-Kontingent ist von einem Zyklus großformatiger Graphit-Zeichnungen umgeben, die Details und Elemente des "Olympischen Gedankens" aus dem funktionalen Kontext isoliert und vergrößert, verkleinert, addiert und in neue Zusammenhänge gestellt wiedergeben. Das Medium der Zeichnung bietet dem Künstler dabei einen höheren Grad an Freiheit im Umgang mit den Formen als die Skulptur. Losgelöst von der technischen Funktion zeigt Christian Bilger in seinen Zeichnungen konstruktive Teile der Plastik in dynamischen Verschränkungen oder harmonischen Verbindungen. Es scheint fast so, als hätte sich der "Olympische Gedanke" in die Zeichnungen gerettet, denn hier ist die angestrengte Wiederholung eines mechanischen Prozesses aufgehoben und die Bedeutung der olympischen Idee auf künstlerische Weise eingelöst.
Peter Funken













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